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Unsere kleine Flora - mein Geburtsbericht

Und da war sie. Unsere Tochter. Bääm. In Beckenendlage mit dem Po voran hineinkatapultiert in nur einer Stunde in diese kühle, dunkle Welt. Weil es im Mutterleib natürlich viel wärmer gewesen ist. Und weil es gerade mal 03:15 Uhr freitags ist. Freitag, der Dritte. Nicht der Dreizehnte. Januar. Winter.



Und alles begann am Silvestertag. In der Nacht auf Silvester bemerkte ich nämlich meinen Blasensprung, als plötzlich liegend die Suppe anfing an mir herunterzulaufen. Nicht schwallartig, eher kontinuierlich wenig. Im Liegen! Mein Gefühl, plötzlich auch inkontinent geworden zu sein, bestätigte sich nicht, als wir mittags im Klinikum ankamen und die Hebamme einen ph-Schnelltest durchführte. Im blauen Kreißsaal. Mit Badewanne. Schön, dachte ich mir noch. Eine Geburt in der Wanne, das wäre toll. Und dann, als es gewiss war, dass ich keinen Urin, sondern Fruchtwasser verlor, dann kamen alle Gedanken wie eine Lawine über mich. Antibiotikum statt Geburtswanne. Und alle Ängste, Gefühle, Hormone. Und mit ihnen die Sinnflut. Wortwörtlich.

Waren wir schon soweit? Die Wiege ist noch nicht mal da? Kann ich schon Milch produzieren? Geht es dem Flo gut? Darf sie jetzt schon kommen? 5 Wochen vor Termin? Wird sie hier gut versorgt? Wo zur Hölle entbinde ich hier eigentlich? Darf ich nochmal nach Hause? Die Antwort auf die letzte Frage war nein. Ganz klar. Vorzeitiger Blasensprung. Da schicken sie dich nicht mehr heim, wenn du so früh dran bist. Etwas mehr als 5 Wochen zu früh.

Nein, ich bleibe heute Nacht im Krankenhaus. In meiner zweiten Wahl. Ich war hier noch nie, kenne keinen. Kenne die Räume nicht. Weiß nicht, wie die Philosophie ist. Ich weiß aber, dass es eine Intensiv Neonatologie gibt. Das ist jetzt besonders wichtig. Dass, falls dem Flo schlecht gehen sollte, ihr gut, sicher und schnell geholfen werden kann. Ohne Verlegung.

Und dann mein nächstes Gedankenchaos. Hier bleiben. Getrennt von meiner Tochter. Von Svea. Wir waren noch keine Nacht getrennt. Über zwei Jahre lang lag ich morgens stets neben ihr. Bis auf die abzählbaren Nächte, in denen sie durchschlief. Ansonsten war ich da. "Mama ist da". Mama, dein Fels, deine Konstante, die auch dann da gewesen ist, als Papi auf Dienstreise fahren musste. Mama war immer da. Und jetzt liegt Mama im Krankenhaus. Und ihr werdet nach Hause fahren und allein einschlafen und allein aufwachen. Mit euch zwar. Aber ohne Mama. Weil das Baby kommt. Ganz plötzlich. Ohne, dass wir großartig Gelegenheit haben dir alles erklären zu können. Die erste Veränderung innerhalb weniger Wochen und es wird nicht die letzte bleiben.


Und dann lasse ich mich in ein Zweibettzimmer verlegen und habe die beste Zimmernachbarin, die ich mir hätte wünschen können. Eine frisch gebackene Zwillingsmama. Die Zwillinge auf der Intensiv, aber stabil. Und dass ich den besten Ehemann habe, wird mir spätestens dann wieder bewusst, als er kurzerhand einen alkoholfreien Sekt, Premiumedition, hinter seinem Rücken hervorzaubert, bevor er mit meiner Tochter und Schwiegereltern nach Hause fährt, um dort ohne mich und ohne Plan, die Silvesternacht zu verbringen. Wusstet ihr im Übrigen, dass man trotz Blasensprung noch wochenlang chillig unterwegs ausharren kann? Ohne dass es dem Kind dabei schlecht gehen muss? Weil sich das Fruchtwasser täglich mehrmals austauscht und erneuert. Jetzt wisst ihr es. Ich auch.

Die nächsten zwei Tage werde ich von Schwestern morgens 7 Uhr genötigt munter zu sein, Blutabnahme, Antibiotikum per Vene (damit es schneller hilft, sagen sie, meine persönliche Achillesverse, da die Kanüle nur einmal hält und nach jedem Tropf der Zugang erneuert werden muss), CTG zweimal am Tag, Krankenhauskost (nicht so schlimm) und unterhalte mich über meine Ängste mit meiner Zimmerpartnerin. Nachmittags kommen Thomas mit Svea und die Schwiegerellis vorbei. Bringen Essen mit und Klamotten. Sachen, die ich brauche. Und Zeug, das mir einfällt, was ich letztendlich nie benutzt habe. Für die Kliniktasche im Vorhinein war leider wenig Zeit. Also hatte ich nur das Nötigste an Hygienezeug, Sachen, Bademantel, Puschen und Zeitschrift mitgenommen. Und Ladekabel, ganz ganz wichtig! Aber meinen Laptop oder Kleider habe ich währenddessen nicht angerührt. Süßigkeiten, Bluetoothbox, Wasser mit Strohhalm und Oropax waren meine Freunde. Letztere weil ich meine Bettgenossin zwar ins Herz schloss, ihr Geschnarche allerdings machte mich nachts echt fertig. Ich sah es als eine Art Vorbereitung auf schlaflose Nächte mit Baby. Und dann wurde sie am 02.01. verlegt. Bzw. sollten ihre Kinder auf die Intensiv auf der Bult (renommiertes Kinderkrankenhaus in Hannover) verlegt werden. Sie hatte sich dann selbst entlassen und für mich hieß es: Einzelbelegung eines Doppelzimmers. Auch nicht schlecht. Wie Hotel mit Krankenhausflair. Aber kostenlos Wasser, Tee, Kaffee, Essen ans Bett, Fernsehen (ganze zweimal eine halbe Stunde genutzt) und Musik aus der Box nur für mich. Und so entspannte ich mich. Bis ich am 02.01. plötzlich grünes Fruchtwasser verlor. Ein Zeichen meiner Tochter im Bauch. Stress. Irgend etwas stimmte nicht. Etwas machte ihr Sorgen. Und ich bildete mir ein, dass es meine Angst vor einem neuen Zugang für das Antibiotikum war. Daran lag es sicher. Denn als mir die Ärztin nachmittags die frohe Botschaft übermittelte, ich könne jetzt das Antibiotikum als Tablette einnehmen, war ich nicht nur superfroh, das Fruchtwasser färbte sich wie von Zauberhand auch wieder hellweiß. Ich war überglücklich. Und allein im Zimmer. Das war in Ordnung. Das erste Mal war ich selig. Eins mit mir. Ich spürte, dass alles gut werden würde. Und keine 5 Stunden später merkte ich abends gegen 23 Uhr die erste Wehe. Ich muss dazu sagen, dass die Hebammen mir an diesem Tag ein homöopathisches, Wehen auslösendes Mittel (Quarz?) gaben und Uterusöl (ja, so etwas gibt es echt und es stinkt nach Urin). Das eine sollte ich aller 15 Minuten 2 Stunden lang mit der Fingerkuppe zu mir nehmen. Das andere kreisförmig über meinen Bauch reiben.

Dann also nachts die ersten Wehen. Ja, so fühlten sie sich an. Ich grübelte bereits, aber da war das bekannte Ziehen vom Rücken über die Seiten bis in den Uterus. Unschön. Aber absolut zu handeln. Ich konnte mich fix an die Atemtechnik erinnern. Durch die Nase tief ein. In den Bauch hinein. Durch den Mund ausatmen. Das half sehr gut. Und so harrte ich aus. Notierte mir den Abstand im Handy als Notiz. Gegen 1 wachte ich auf. Eine Wehe. Eine böse Wehe. So lang. Oh fies! Und direkt danach der Drang auf Toilette zu gehen. Nicht das einzige Mal in dieser Nacht. Und es kam einfach alles raus. Dann, 9 Minuten später, die nächste große Wehe. Allmählich nahm es ein Muster an. Ich wartete bis 1:57 Uhr. Dann informierte ich die Schwestern. Sie würden mir die Akte bringen, mit der ich dann zum Kreißsaal watschelte. Und ich rief Thomas an. Der war noch wach. Er hatte gerade Svea nach ihrem nächtlichen Wachmacher wieder in den Schlaf verholfen. Nun machte er sich auf den Weg. Zu mir. Zu uns. Etwas neben sich. Und aufgeregt. Ich allerdings sah völlig klar. Es geht los. Wir werden erneut Eltern. Ich entbinde gleich. Ich war mir auch sicher, dass es schnell gehen würde. Schneller als bei Svea, die sich auch nur 8 Stunden Zeit nahm.


5 Minuten nachdem mir ein "lila" Kreißsaal zugeteilt wurde, eigentlich vorübergehend, weil der Kleinste und alle anderen 3 waren belegt, kam die Hebamme. Meine Lieblingshebamme. Svenja. Schöner, bekannter Name. Dich mag ich, dachte ich. Codewort: CTG. Oh nein, ich wollte nicht liegen. Ich bat sie, das abzustellen. Ich musste stehen. Herumlaufen. Mich vornüber auf das Bett stützen. Das brauchte ich jetzt, aller 3 Minuten bei jeder ungemein intensiven Wehe. Und sie verstand und folgte meinem Wunsch. Zum Glück! Da war ich bereits 4 cm "geöffnet". Keine (gefühlt) 5 Minuten später stand Thomas in der Tür. Aufgeregt! Etwas müde, aber vor allem mit saukalten, zitternden Händen. Oh diese kalten Hände brauchte ich sofort im Nacken und auf der Stirn. Mein Held! Er wollte mir auch gut zureden. Das fand ich doof und verbot es ihm. Ich brauchte jetzt völlige Konzentration auf die Wehen, auf mich, auf dass es in 1 Minute wieder losging. Oh nein, Schmerzen, so ungeahnte, biblische Schmerzen. Schmerzmittel! Sofort!!! Ich hatte auch den Drang zu pressen. Jetzt schon? Nach einer halben Stunde? Niemals! Zu früh! Oder? Und ich muss k...acken. Ehrlich? Doch, es fühlt sich so an. Es fühlt sich auch kurzzeitig so an, als würde ich die Kontrolle über alles verlieren. Diese Schmerzen. Bitte, ich brauche eine PDA, jetzt! Doch die Hebamme tastete kurz und meinte nur: kein Schmerzmittel, es geht los. Das Baby kommt jetzt. Schon!

Sie rief die Oberärztin und deren Assistenz dazu. Üblich bei Beckenendlagen. Beide kamen und ich sollte pressen. Und dann kam auch schon der Po und die Beine und der Körper. Ich spürte jeden einzelnen Zentimeter aus mir heraustreten. Es tat gut. Ich gab alles. Ich presste und dann blieb alles stehen. Keine Wehe mehr. Kein Pressdrang. Nix. 2, 3 Minuten lang. Oh nein! Das Horrorszenario, wovor mich die Oberärztin gestern noch gewarnt hatte: der Kopf etwas größer als der Bauch. Das kann bedeuten, dass der Kopf im Geburtskanal stecken bleiben könnte. Falls das eintreffen sollte, kann nichts mehr getan werden. Eine Zange vielleicht. Aber wenn die keine Wirkung zeigt, keine OP. Kein Kaiserschnitt. Exakt dieses Bild kam mir vor mein geistiges Auge. Das sollte nie passieren. Keinem. Keiner Frau auf dieser Welt. Also wechselten wir die Position. Bis dato klebte ich im Vierfüßlerstand an meinem Bett und biss mich mit aller Kraft in die Matratze. Jetzt sollte ich mich auf den Rücken drehen, halbsitzend, nach vorn gebeugt. Da sah ich sie. Die Beinchen und der Körper hängte aus mir. Sie sah sehr blau aus, leblos. Erschreckend. Und das war der Moment, indem mir bewusst wurde, dass ich keine Wehe mehr ausharren würde. Ich würde genau jetzt pressen. Alles, was ich habe in dieses Pressen legen. Die ganze Kraft! Damit sie lebt, der kleine Flo. Unser Flo. Unsere Flora. Sie muss leben!

Und so presste ich und hörte dumpf die Hebamme fragen: "kam die Wehe schon?". Sie war überrascht. Und mir war es egal. Und so kam das Köpfchen zwei Minuten später. Die Ärztin hatte bereits Verstärkung gerufen, die darauf vorbereitet waren, auf mir herumzuschieben und die Zange bereit gelegt. All das brauchte ich nicht. Aus eigener Kraft. Aus Überlebensinstinkt. 03:15 Uhr.


Und schon die nächste Hürde. Flora war entbunden. Doch ich sah sie nur aus dem Augenwinkel. Sie wurde ganz fix der Kinderärztin und der Schwester übergeben. Weg gebracht auf die Neo Intensiv. Beatmet. Sondiert. Abgesaugt. Abgewaschen. Aber: sie lebt. Und ich weiß sie in guten, routinierten, fachlich kompetenten Händen. Nach der Geburt hatte ich also keine Chance direkt zu kuscheln. Zum Bonding. Aber danach war mir auch nicht wirklich. Ich hatte Schüttelfrost. Und ich war angespannt. Mein Gefühl sagte mir, dass die Plazenta wieder nicht von allein komme würde. Und ich täuschte mich auch hier nicht. Die Hebamme war zwar bemüht, wartete eine halbe Stunde. Probierte Akupunkturnadeln und Kaltkompresse aus. Sah sie schon beinahe kommen. Doch sie kam nicht. Und ich blutete eine halbe Stunde lang 2 Liter aus. Und wurde dann in den OP geschoben. Und verlor das Bewusstsein nach einer Portion Lachgas. Ich hatte ein Lied im Kopf als ich aufwachte. "The Boxer" von Simon & Garfunkel. Schicksal? Einbildung? Ich fragte den Anästhesist, ob sie während der OP Musik gehört hätten. Haben sie natürlich nicht. Verrückte Welt! Beim Aufwachen übermannte mich der Schüttelfrost erneut. Kalt und schmerzhaft fühlte sich das Aufwachen an. Starke Schmerzen. Sind das Nachwehen? Ja. sie waren es. Hatte ich sie nach der ersten Entbindung nicht gespürt, waren sie jetzt gerade enorm. Die Schwester verabreichte mir neben einem Tropf voller Wasser, an einem anderen Zugang Opioide. Starke Schmerzmittel. Das wirkte sehr heftig. Aber der Zweck war erfüllt.

Und nach einer Stunde im Aufwachraum wurde ich endlich auf die Intensivstation geschoben und durfte meine Tochter auf den Arm nehmen. Naja, ich bekam sie eher auf mich gelegt. Aber ich war überglücklich. Und hellwach. Und dennoch fertig. Aber ohne Schmerzen. Ich hatte entbunden. Erneut. Aus BEL. Ohne PDA diesmal. Purer Schmerz. Geisteskrank! Aber machbar. Ohne Kaiserschnitt trotz Empfehlung der Ärzte. Gegen die Meinung der Gynäkologen, aber mit Rückenwind der Hebammen. Und meinem Bauchgefühl. Und ich brauchte keine Transfusion, obwohl 4 Liter für mich bestellt wurden. Lediglich Eisentabletten. Na gut, dachte ich mir, mit schwarzem Stuhlgang werde ich fertig. Und ich war überglücklich. Und zweifache Mami. Ganz plötzlich.

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